Archiv Melsungen

Auszüge aus Gemeindeakten von 1861 bis 1913 - Polizeistrafen

Polizeistrafen

Die Gemeinde Röhrenfurth konnte zwischen 1898 und 1927 wegen, wie wir heute sagen würden, Ordnungswidrigkeiten so genannte Polizeistrafen erheben. Die Liste dieser Polizeistrafen hat sich in den Gemeindeakten erhalten. Die in der Liste festgehaltene Übertretung und die dafür erhobenen Strafen werfen ein Schlaglicht auf das damalige Leben und Überwachung durch die „Obrigkeit“.

Im Folgenden wird eine kleine Auswahl der vielen Übertretungen geschildert.

 

Im November 1898 wurde Justus U. aus Körle zu 1,00 Mark[1] Strafe verurteilt, weil das Nummernschild an seinem Wage unleserlich war. Im gleichen Monat zahlte Georges E. aus Wagenfurth ebenfalls 1,00 M. weil er ohne Laterne am Wagen gefahren war. Diese und ähnliche Übertretungen wiederholten sich im Laufe der Zeit recht zahlreich.

 

Die Röhrenfurther Wirte zahlten ab und an zwischen 2,00 bis 5,00 Mark wegen Übertretung der „Feierabendstunde“.

 

Um 1900 hatten die Metzger aus Melsungen noch kein Auto und fuhren ihre Waren in einem, von einem Hunde gezogenen, Wagen aus. Wenn der Wagen leer und der Metzger müde auf dem Heimwege war, setzte er sich gerne in den Wagen und ließ sich vom Hund nach Hause bringen – das war Tierquälerei und wurde mit 1,00 Mark bestraft.

 

Eines der häufigsten Vergehen war, die Gänse „hütelos“, das heißt ohne Aufsicht durch einen Hirten, gehen zu lassen. Die Gänse suchten sich dann ihr Futter, wo sie es fanden und fraßen auf fremden Wiesen oder gingen auf die Getreidefelder. Die Strafe lag, je nach der Zahl der Gänse, zwischen 1,00 und 2,00 Mark.

 

Im Juli 1899 wurde Carl A. aus Melsungen mit 1,00 Mark bestraft, weil er auf dem Grundweg gefahren war. Eine Strafe, die immer wieder von verschieden Auswärtigen erhoben wurde. Der Grundweg war nur für Röhrenfurther freigegeben.

 

Immer wieder wurden Strafen wegen Verletzung der Vorschriften über den Feuerschutz verhängt. Justus N. zahlte 1,00 Mark, weil er einen Strohhaufen an einem Gebäude liegen hatte. Anfang 1902 wurden die Schornsteine überprüft. Zahlreiche Strafen, jeweils 1,00 Mark, wurden verhängt, weil Heu, Stroh oder Flachs am Schornstein lagerte. Andere wurden bestraft, weil der Schornstein „entzwei“ war oder ein Schieber fehlte.

 

Verschiedentlich wurden Vergehen bestraft, welche für uns heute doch recht seltsam erscheinen: „Auf dem Wage gesessen, ohne die Zugleinen in den Händen zu haben.“ Dieses „freihändig mit einem Fuhrwerk fahren“ wurde mit 1,00 Mark bestraft.

Ignaz L. wurde mit 1,00 Mark bestraft, weil er den Brunnen nicht bedeckt hatte.

H. F. wurde wegen Tierquälerei bestraft, weil er oder sie Gänse gestopft hatte.

Die Witwe von S. D. wurde mit 1,00 Mark bestraft, weil sie die „Kantel nicht gekehrt“ hatte.

 

Ebenfalls mit je 3,00 Mark wurden 3 Schwarzenberger bestraft, weil sie den offensichtlich noch im Bau befindlichen Trischerweg mit ihren Holzfuhrwerken befahren hatten. Sie wurden von Arbeitern angezeigt, die während der Verkopplung beim Wegebau beschäftigt waren.

 

Der Gemeindediener und Nachtwächter Heinrich S. war wohl im Dorf nicht gerade beliebt. Er war jemand, der die Leute oft anzeigte. Am 28. Dezember 1900 wurde der Spieß umgedreht, er wurde angezeigt, weil er als Nachtwächter die 12:00 Uhr in der Nacht nicht ausgerufen hatte. Er wurde mit 1,00 Mark bestraft.

Im nächsten Juni kam es dann zu einem Streit mit einem anderen Röhrenfurther, der dann von S. wegen Beleidigung der Ortsdiener angezeigt und mit 1,50 Mark bestraft wurde.

Im Mai 1902 traf es im Gegenzuge Heinrich S. ganz schlimm. Er wurde angezeigt, weil er die „Nachtwache nicht gethan“ hatte. Er wurde zwar mit nur 1,00 Mark bestraft. Tauchte danach aber nicht mehr als Anzeiger auf, er hatte durch dieses Vergehen wohl seine Arbeit als Gemeindediener verloren.

 

Am 1. Oktober wurde Chr. M. mit der horrenden Strafe von 5,00 Mark belegt, weil er den Treibriemen nicht abgeschert hatte. M. war kein Röhrenfurther Namen, er könnte Dreschmaschinenmaschinist gewesen sein.

 

Im Januar 1902 kam es zu einem seltsamen Vergehen. 3 Röhrenfurther wurden mit je 3,00 Mark bestraft, weil sie „Reisig und Staketten“ auf die Straße geworfen hatten.

 

Ruhestörender Lärm war auch schon 1902 ein Thema. Am 22. März wurden Andreas S., Andreas H. und Conrad S. mit je 1,00 Mark bestraft. „Haben auf der Straße sehr laut gesungen und ruhestörenden Lärm erregt“, lautete die Anklage.

 

Im Juni 1902 war das Eichamt im Dorf. Die Witwe D. und die Ehefrau von Peter W. wurden mit je 1,00 Mark bestraft, weil die eine Gewichte und die andere Maße ohne „Aiche“ hatte. Ähnliche Vergehen wurden immer wieder einmal bestraft.

 

Am 29. April wurden 2 Jugendliche vom Gemeindediener angezeigt, weil die beiden Fensterscheiben an der Judenschule (Synagoge in der Quergasse) entzwei geworfen hatten. Ein Vergehen, welches 30 Jahre später nicht mehr bestraft wurde.

 

Im Jahr 1909 muss viel Alkohol getrunken worden sein. Am 26. März 1909 wurde Georg S. mit 2,00 Mark bestraft, weil er „angetrunken im Musterungslokal“ war. Unter den insgesamt 31 Anzeigen dieses Jahres tauchen noch weitere 20 ! Anzeigen wegen nächtlichen Ruhestörungen und groben Unfugs auf.

 

Im Allgemeinen gab es im Zusammenleben der jüdischen mit der christlichen Bevölkerung Röhrenfurths keine größeren Probleme. Zu Schwierigkeiten mit der Obrigkeit konnte es durch die unterschiedlichen Feiertagsregelungen im jüdischen und christlichen Glauben kommen. So war am Samstag, dem Sabbat für die Juden, jegliche Arbeit verboten, für die Christen war es ein normaler Arbeitstag – am Sonntag war es umgekehrt.

Am 25. 11. 1900 wurde die Witwe des Juden D. mit 3,00 Mark ! bestraft, weil sie während der Sonntagsruhe Waren verkauft hatte. Das war eine hohe Strafe. Der Sonntag war für die Jüdin kein Feiertag. Heute wollen viele Leute die Sonntagsruhe ganz aufheben - so ändern sich die Zeiten.

Am 2. Juli 1910 wurde Levi D. vom Brandmeister M. angezeigt, weil er bei der Feuerwehrübung gefehlt hatte. Der 2. Juli war ein Samstag – Sabbat, also Feiertag für den Juden. Die religiösen Vorschriften verboten dem gläubigen Juden die Teilnahme an der Übung. Auf der anderen Seite war Levi D., wie jeder andere Bürger, Mitglied in der Pflichtfeuerwehr und war damit zur Teilnahme an der Übung verpflichtet. Er zahlte wohl lieber die Strafe von 2,00 Mark, als die religiösen Vorschriften zu verletzen. Am 25. 3. 1912 wurde Levi D. noch einmal, dieses Mal gemeinsam mit seinem Glaubensbruder Süßmann L., wegen des gleichen Deliktes mit je 3,00 Mark bestraft.

 

Valentin K. wurde mit 1,00 Mark bestraft, weil er seinen 9 Jahre alten Sohn ein Fuhrwerk hat fahren lassen.

 

Am 15. 8. 1912 zahlte Chr. Sp., Vorstand des „Sportclubs“, 3,00 Mark Strafe, weil der Klub eine „öffentliche Lustbarkeitsveranstaltung ohne Genehmigung“ durchgeführt hatte. Die Art und der Anlass dieser „Lustbarkeit“ sind nicht bekannt.

 

Am 23. Dez. 1913 gipfelte eine Auseinandersetzung zwischen wohl jugendlichen Röhrenfurthern und einem Erwachsenen darin, dass Karl R., Konrad S., Arnold L. und Karl I. mit je 2,00 Mark bestraft wurden, weil sie „Mist und Dreck an Wenderoth sein Haus geworfen“ hatten.

 

Zum Schluss sei noch ein weiterer Streich erwähnt: Balthasar E., Heinrich M., Heinrich S. und Hermann S. erhielten im Mai 1913 je 1,00 Mark Strafe weil sie „Dieling sein Schiff losgemacht und auf der Fulda herumgefahren“ sind. Dieling war Fischer, hatte die 4 jedoch nicht selbst angezeigt. Es muss wohl ein sonniger, warmer Tag gewesen sein, der zu einer gemütlichen Kahnpartie auf der Fulda einlud.

 

Auch mein Großvater, Heinrich Maurer, wurde 1922 mit 50,00 Mark bestraft, weil er an seinem Wagen ein Schild nicht mitgeführt hatte. Durch die bereits 1922 einsetzende Inflation entsprachen 50,00 Mark 1922 etwa 1,00 Mark 1900. 

 

Kurt Maurer jun.

 


[1] Zum Wert dieser Geldstrafen: Im Jahre 1881/82 wurde 1,50 Mark als Tagessatz für 1 Tag Gefängnis gerechnet.

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