Archiv Melsungen

Die Chorvereinigung 1876 Röhrenfurth Teil 1

Vor nunmehr 106 Jahren, in einer Zeit des erwachenden Nationalgefühls und der beginnenden „Kaiserzeit", als aus den Untertanen allmählich Bürger wurden, entstanden überall Männergesangvereine. Sie waren Ausdruck einer gewissen politischen Freiheit und Demokratie, wenn auch nur im kleinen Kreis eines Vereins. Die in ihm zusammengeschlossenen Männer gaben sich selbst ihre Richtlinien, sie stellten sich selbst Aufgaben, konnten also ein wenig Selbständigkeit dokumentieren, ohne daß die Obrigkeit überall hineinredete. Der Zweck und die Zielsetzung eines Männergesangvereins lagen von vornherein fest. Erstes Ziel war die Pflege des Volksliedes und der Geselligkeit, selbstverständlich war auch die Mitwirkung bei kirchlichen und nationalen Feiertagen. Politik war innerhalb des Vereins unerwünscht um Reibungspunkte möglichst zu vermeiden; es sollten ja alle „unbescholtenen" männlichen Einwohner unseres Dorfes Mitglied werden können. Eine Autoritätsperson war ebenfalls vorhanden, denn die musikalische Leitung hatte in aller Regel der Lehrer des Dorfes. Er mußte damals zwei Musikinstrumente in etwa beherrschen, die Orgel für die Kirchenmusik und Harmonium oder Geige für den Gesang in der Schule und eben im Gesangverein. War der Dirigent nicht gleichzeitig auch Vereinsvorsitzender, so lag dieser Posten wohl in den Händen des Bürgermeisters oder einer anderen, im öffentlichen Leben stehenden Persönlichkeit. Die weltliche und kirchliche Obrigkeit konnte sich also darauf verlassen, daß innerhalb des Gesangvereins alles "seine Ordnung hatte" und auch behielt. Jeder Verein mußte eine Satzung -damals nannte man sie Statuten- haben, in der alles geordnet war und die der Landrat genehmigte. Jedes Mitglied mußte sie durch seine Unterschrift als für sich verbindlich anerkennen, und es unterwarf sich damit einem ziemlich strengen Reglement. Selbst die Zeit, wie lange ein Mitglied nach dem Tode der Ehefrau, eines Kindes, der Eltern oder der Schwiegereltern den Übungsstunden fernbleiben durfte, war in den Statuten geregelt. Wer wiederholt gegen sie verstieß konnte mit Stimmenmehrheit der Vereinsmitglieder ausgeschlossen werden. Ein solcher Ausschluß, der nicht geheim blieb, wog in der damaligen Zeit schwer, denn der Lehrer, der Bürgermeister und eventuell der Nachbar hatten dem Ausschluß ja zugestimmt. An den Statuten änderte sich im Laufe der Zeit nur wenig, nur Auslegung und Anwendung wurden großzügiger gehandhabt, heute haben sie nur noch historischen Wert.

Leider sind die Aufzeichnungen aus der Vereinsgeschichte vor dem Ersten Weltkrieg verloren gegangen. Die Entwicklung von der Gründung bis zum Jahre 1915 kann daher nur aus späteren Chroniken rekonstruiert werden. Im Jahre 1876 suchte der in Röhrenfurth wohnende und tätige Förster August Seeger (er war Nachfolger des Försters Borngrebe und wohnte im damaligen Forsthaus an der Brücke) Gleichgesinnte für die Gründung eines Männergesangvereins zu gewinnen. Die Besprechungen fanden in der Gastwirtschaft Otto Steinbach (jetzt Haus Zimmermann-Stöhr) statt. Nach mehrmaligen Zusammenkünften erfolgte dann die Vereinsgründung als Männergesangverein.

Den Vorsitz übernahm der Initiator, Förster August Seeger, die musikalische Leitung der seit 1855 in Röhrenfurth angestellte Lehrer Christian Pflüger (er stammte aus Maden bei Fritzlar). Die Übungsstunden fanden zunächst alle 14 Tage in der Schule statt. Die Kassenführung lag in den Händen von Johannes Schanze. Die Namen der weiteren Gründungsmitglieder sind nicht überliefert. Bereits ein Jahr nach der Gründung veranstaltete der Chor sein erstes Vereinsfest. Am gleichen Tage weihten die Gemeinde und die Kirche die Ehrentafel für die Teilnehmer des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 ein. Der Männerchor wirkte bei der Ausgestaltung in gebührender Form mit. Im Jahre 1885 mußte der Chorleiter Christian Pflüger sein Amt niederlegen, er war krank und trat am 1. 7. 1887 in den Ruhestand. Einen Nachfolger als Dirigent fand der CJior erst drei Jahre später (es kamen Lehrer nur für verhältnismäßig kurze Zeit nach Röhrenfurth), in Lehrer August Ackermann, der den Chor dann bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges -von 1888 bis 1914, insgesamt 26 Jahre- musikalisch betreute.

Anno 1890 hatte der Chor 41 Mitglieder. Sie unterschrieben am 18. März die Statuten des Vereins; Bürgermeister Martin Landgrebe bestätigte am 21. April, daß der Gründung des Gesangvereins sowie der Genehmigung der Statuten in ortspolizeilicher Hinsicht keine Bedenken entgegenstehen. Schließlich genehmigte der Königliche Landrath Negelein die Statuten am 6. Mai 1890. Konrad Steube übernahm die Kassenführung des Vereins und Bürgermeister Heinrich Nödel wurde 1885 zum Ersten Vorsitzenden gewählt. Am Abend des 1. Weihnachtstages des Jahres 1898 gestalteten der Männerchor und ein zweistimmiger Schülerchor eine Weihnachtsfeier in der Kirche, die einen nie erwarteten Anklang in der Bevölkerung fand. "Die Kirche war dann auch so voll, wie ich sie in den 10 Jahren meiner Wirksamkeit hier vordem nicht gesehen habe", schreibt Lehrer Ackermann in der Schulchronik. Im Jahre 1901 beging der Männergesangverein Röhrenfurth festlich sein 25-jähriges Bestehen; er schaffte sich die bis heute in Ehren gehaltene Fahne an, die in einem besonderen Festakt geweiht wurde, und heute mit einem Alter von 80 Jahren bereits historischen Wert besitzt.
Von den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg ist nichts überliefert, nur daß die Vereins- und Chortätigkeit während des Krieges vollständig ruhte. Erst am 3. Juli 1920 riefen 53 Männer den Verein wieder ins Leben. Bürgermeister Heinrich Nödel übernahm nochmals den Vorsitz, gab ihn aber noch im gleichen Jahr an Wilhelm Sonntag, den bisherigen 2. Vorsitzenden ab. Schriftführer wurde zunächst Heinrich Freudenstein, ein Jahr später übernahm dieses Amt Friedrich Nadler, der es bis 1937 ausübte. Zum Kassierer wählte man Valentin Steube -der Sohn des Kassenwartes Konrad Steube-. Dieses Amt übten Vater und Sohn über insgesamt 63 Jahre aus, eine in einer Chronik zu würdigende Tatsache.

Der Chor war in den folgenden Monaten sehr aktiv. Besuche bei den Nachbarvereinen, so bereits 1921 in Eiterhagen (das nachstehende Bild wurde aus diesem Anlaß bei den "Vier Buchen" aufgenommen) lenkten ein wenig von den Sorgen ab, die die Inflation auch in die Reihen des Gesangvereins zu tragen begann. Erwähnt werden muß auch das Jahr 1925, denn am 31. Oktober gründeten die Chöre des Kreises Melsungen den Sängergau Heiligenberg, dessen Erster Vorsitzender der Chorleiter des Röhrenfurther Vereins, Lehrer Eduard Lange wurde. Im gleichen Jahre begann man mit den Vorbereitungsarbeiten für das in 1926 vorgesehene Sängerfest aus Anlaß des 50jährigen Bestehens des Männergesangvereins Röhrenfurth.

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