Archiv Melsungen

Der Friedhof unseres Dorfes Teil 1

Als man mich bat, zur Röhrenfurther Chronik auch ein Kapitel über unseren Friedhof beizusteuern kam mir zum Bewußtsein, daß 800 Jahre Geschichte unseres Dorfes nicht nur 800 Jahre Leben beinhalten, sondern daß die Menschen, die hier arbeiteten, Freud und Leid erlebten; hier ja auch nach einem erfüllten Leben ihre letzte Ruhestätte fanden, die -soweit es möglich war- stets im „Schatten" ihrer Kirche, und sei sie noch so klein gewesen, lag. Kirche und Kirchhof waren Jahrhunderte lang der Bannort für die Lebenden und die Toten. Heute ist alles eine Selbstverständlichkeit, selbst das Sterben, oder besser gesagt, das Beerdigen eines Verstorbenen. Da wird das Sterbeglöckchen geläutet, man geht zum Pfarrer, man bekommt für den Verstorbenen einen Platz auf unserem schönen Friedhof angewiesen, städtische Angestellte sorgen für das Grab, die Friedhofskapelle wird ausgeschmückt, dem Toten wird ein würdiger Abschied bereitet.

Ja zurück zu der Frage: Können Sie was über unsere Friedhofsgeschichte schreiben? Zurück zu meinen Gedanken, was geschah damals mit unseren Toten? Damals vor mehreren hundert Jahren.

Lange habe ich überlegt, ob man überhaupt über die Toten der damaligen Zeit schreiben kann. Was soll man bringen? Wie und wo wurden unsere Toten damals beigesetzt? Ach, dachte ich, sicher wird was im Staatsarchiv in Marburg über die damalige Zeit, Friedhof, Beisetzung, Kosten usw. zu finden sein. Unser Chronist der Röhrenfurther Geschichte, gut bekannt in Marburg, der Pfarrer und ich ließen uns beraten, fanden vieles von Röhrenfurther alten Zeiten, sorgfältig geführte kirchliche Abrechnungen von den damaligen Kastenmeistern, genau abgerechnet jeder Pfennig. Nichts aber über irgendwelche Einnahmen oder Ausgaben aufgrund von Sterbefällen oder Begräbnissen. Von unserem Chronisten erfahren wir, wie die ersten Siedler sich hier in der Gemarkung niedergelassen haben, bestimmt nur einzelne Familien, die hier gelebt haben, ohne Pfarrer und Lehrer. Starb ein Familienmitglied wurde der Tote von den Angehörigen und Freunden beigesetzt, irgendwo in der Nähe der Siedlung. Vielleicht ein Gebet und ein kleines Holzkreuz und nach Jahren war von dem Grab nichts mehr zu sehen.

Aus der Siedlung wurde ein Dörfchen. Eine Kapelle, wo die Menschen Gott dankten und Segen erbaten, wird 1269 urkundlich schon erwähnt, d.h., daß Pfarrer oder damals Priester hier Gott dienten und die Toten kirchlich bestattet wurden.
Nach 1792, ein neuer Abschnitt in der Röhrenfurther Friedhofsgeschichte. Der Kirchenneubau, der Kirchplatz der Kapelle, wird für die weit größere Kirche benötigt. Die Vermutung, daß der Kirchplatz um die Kapelle der Ruheplatz für die Toten war, wird wohl dadurch bestätigt, daß beim Ausschachten des Heizungskellers zum Anbau an unsere Kirche zahlreiche Totenschädel und Gebeine gefunden wurden, und zwar ziemlich an einer Stelle. Die Vermutung liegt nahe, daß die Gebeine, die beim Neubau der Kirche um das Jahr 1792 herausgearbeitet wurden, an einer Stelle wieder beigesetzt waren. Pfarrer, Lehrer und gewichtige Männer der Gemeinde, -Frauen hatten in der damaligen Zeit noch kein Mitspracherecht-, die die Pläne für den Neubau der Kirche machten, mußten Überlegungen anstellen, eine neue Ruhestätte für ihre Toten zu beschaffen. Schon damals wurde der Platz für unseren heutigen Friedhof zur Verfügung gestellt. Nicht so groß wie heute, aber dort oben, vom Haus Weingarten gesehen, etwa die Hälfte des heutigen Friedhofes. Die äußere Umgrenzung des „Totenhofes" war eine Hainbuchenhecke, die auch jährlich gepflegt werden mußte. So findet man bei alten Abrechnungen, daß jeweils der Lehrer das Amt übernahm. Die Bezahlung für diese Arbeit waren 13 Albus, die aber durch die Nutzung des Grases für seine Ziegen oder die Kuh verrechnet wurden.

Zwischen den heutigen Häusern Weingarten und Barthel führte im vorigen Jahrhundert noch der seit der Einrichtung des Friedhofes benutzte "Totenbegräbnisweg" hindurch - den jetzigen Eingang gab es damals noch nicht. Dieser Begräbnisweg bog links des Hauses, das um 1850 Leib Levi gehörte, auf den Friedhof ein. Der Totenhof grenzte unmittelbar an das Grundstück des Leib Levi, lag also "hinter Leibs Ecke". Diese Lagebezeichnung wurde allgemein benutzt und so hieß es: "Hä kemmed henger Leibs Ecke", er kommt hinter Leibs Ecke.

Fast ein Jahrhundert reichte dieser Platz für die Toten. Vielleicht kam es auch dadurch, daß die Familiengräber z.T. nicht nebeneinander lagen, sondern die Eheleute übereinander bestattet wurden. Der damalige Totengräber mußte bei solch einem Doppelgrab bei der Erstbeisetzung viel tiefer ausheben, damit der nächste Sarg später nicht aus dem Erdreich herausschaute. Jedenfalls, als der Friedhof voll belegt war, wollte man wieder von vorn beginnen, das heißt bei den ersten Gräbern anfangen. Man hatte aber bei den Beisetzungen so gutes Holz für die Särge verwandt, daß man beim Ausheben der neuen Gräber auf noch sehr gut erhaltene Eichensärge stieß und man deshalb beschloß, nicht auf die alten Plätze zurückzugreifen, sondern den Friedhof zu erweitern. Das erste Mal um einige Gräberreihen in Richtung Körle.

Geld hat auch das Sterben schon immer gekostet. Die Grabstelle für den Verstorbenen mußten die Angehörigen von der Gemeinde erwerben. Die Errichtung eines Grabmals war genehmigungspflichtig. Die Gebühr hierfür betrug um die Jahrhundertwende bei einem Einzelgrab 15 Mark, bei einem Doppelgrab 30 Mark und mußte an die Kirchenkasse gezahlt werden. Bei der Beerdigung eines Dorfarmen übernahm die Gemeinde alle Kosten, auch die für den Totengräber, die Totenfrau und den Sarg. Die kirchliche Betreuung oblag dem Pfarrer. Noch zu Kaisers Zeiten gab es die sogenannten "Pfarrpfründe", die u. a. vorsahen, daß die Kosten der geistlichen Beisetzung direkt an den Pfarrer bezahlt werden mußten, der auch die Höhe der Kosten beliebig bestimmen konnte. Auf den Verdienst kam es an; ein Tagelöhner brauchte längst nicht das gleiche zu zahlen, wie ein Handelsmann oder Grundbesitzer. Aber auch nachdem der Pfarrer von der Kirche bezahlt wurde und die Einnahmen von einer Beisetzung der Kirche zuflössen, bestimmte der Pfarrer immer noch die Höhe der Bezahlung. In den 20er Jahren richtete sich die Bezahlung nach der Größe der Beerdigung. So passierte es, daß der Pfarrer ein paar Tage nach der Beisetzung kam, die Hinterbliebenen glaubten, er wolle ihnen nochmals Trost zusprechen, weit gefehlt, er kassierte nach, weil das letzte Geleit zu groß gewesen war. Die Zeiten vergingen, die 30er und 40er Jahre; wer erinnert sich noch an den furchtbaren 2. Weltkrieg. Überall Soldatengräber, aber glücklicherweise wurde Röhrenfurth nicht direkt betroffen. Wohl mußten viele Röhrenfurther Väter und Söhne ihr Leben lassen, doch nur ganz wenige konnten hier auf heimatlichem Boden begraben werden.

Zurück