Archiv Melsungen

Von Flachs und Leinen, auch von den Röhrenfurther Leinewebern Teil 1

Im Jahre 1667 "wanderte" Dietrich Ebert, ein Leineweber aus Röhrenfurth, nach Kassel aus, um dort sein Glück zu versuchen. Der Beruf des Leinewebers gehört mit zu den ältesten. Selbst für "größere" Bauern des Fuldatals und seine Nebentäler war er Hauptberuf Nr. 2; auch außerhalb der Landwirtschaft ermöglichte er einen bescheidenen Verdienst, zumal er das ganze Jahr ausgeübt werden konnte. Besaß der Leineweber noch ein wenig Ackerland, so baute er das erforderliche Rohmaterial, den Flachs (Lein) selbst an, und die ganze Familie half und war Zulieferer. Der Leineweber arbeitete auch im Lohnauftrag für die Bauern, sofern diese ihren Flachs in den Wintermonaten nicht selbst spannen und webten. Die Leineweberei war eine schwere Arbeit, ein geschickter Weber konnte täglich etwa eine halbe Steige = 10 Ellen oder rd. 5,70 Meter Leinen schaffen, bei einer Breite von 8/4 Ellen = rd. 1,14 Meter. Für Leib- und Tischwäsche wurde mit nur 6/4 Ellen = rd. 85 cm Breite gewebt.
Das hessische Leinen genoß einen guten Ruf und wurde als "Hessian-Leinen" bis in die USA exportiert. Besonders fest war das"Klangleinen" (beim Spannen gab es einen besonderen Klang, daher der Name), aus dem die Bauern das "Klängetuch" herstellten, jenes Tuch, das über die Bodenbretter und Ladeleitern der Erntewagen gespannt wurde, damit keine Körner verloren gingen.
In Röhrenfurth erinnern -sicher den altern unter uns noch gut bekannt- zwei Flurnamen an die Flachsverarbeitung jener Zeit: die "Dämme" und die "Bleechwesse", die Bleichwiese. Es ist wohl kaum noch bekannt, wieviel Arbeit nötig war, bis aus dem Saatkorn, dem Leinsamen, ein Bettlaken, ein Tischtuch, ein Hemd oder ein Kittel entstehen konnte.

Der Flachs, eine der ältesten Kulturpflanzen, wurde in das Brachfeld gesät, nachdem es dreimal geackert worden war, u. zw. einmal im Spätherbst und je einmal Mitte März und vor der Aussat. Den Frühflachs brachte man Anfang April in die Erde, um ihn Ende August zu rupfen. Zunächst legte man ihn in Schwaden auf dem Acker aus, wendete ihn, bis er vollständig trocken war, band ihn in kleine Garben und fuhr ihn nach Hause. Schon das Rupfen, Wenden und Binden war eine recht mühsame und anstrengende Arbeit, nichts für Leute mit einer schwachen Bandscheibe. In Röhrenfurth und in anderen Dörfern mußte auch noch während des letzten Krieges Flachs angebaut werden, nicht für den eigenen Bedarf, sondern zur Ablieferung an eine Fabrik in Hünfeld, die ihn zu Garn verarbeitete. Der anfallende Leinsamen war dabei eine willkommene Zugabe, aus der "Hellefett", Leinöl, geschlagen wurde, das Schrot diente zur Kälber- und Schweinemast.
War der Flachs eingefahren, wurde er zunächst in der Scheune geriffelt (gerefft). Dies geschah auf der Riffelbank, einem Bock, auf dem etwa 40 bis 50 ca. 20 cm lange Eisenspitzen steckten, deren Abstand sich von oben nach unten bis auf 1/2 cm verengte. Durch diese Zahnreihe wurden die Flachsbündel mehrmals hindurchgezogen, um die Fruchtkapseln und restliche Blätter abzustreifen. Die Fruchtkapseln (Knobben) ließ man auf einem "Klängetuch" trocknen bis sie aufsprangen, oder sie wurden gedroschen.
Nach dieser Prozedur kam der Flachs in die Röstgruben. In unserem Dorf waren zur Flachsröste drei zwischen 50 cm und 1,50 m tiefe Gruben am rechten Fuldaufer ausgehoben worden, die zur Fulda hin und untereinander durch Steindämme abgeteilt waren. Daher auch die mundartliche Bezeichnung "die Däm-me". Diese Abgrenzung war zum Schutz der Fischbrut in den landgräflichen „Fisch-Ordnungen" von 1559, 1581 und 1657 vorgeschrieben. Wer seinen Flachs in einem fließenden Fischwasser röstete, sollte bei Verlust des Flachses auch mit einer "unnachlässigen Straffe" belegt werden.
In den Röstgruben lag der Flachs, mit den Spitzen nach oben, zu kleinen Bündeln zusammengefügt und mit Brettern und Steinen beschwert, je nach Wassertemperatur, etwa eine bis drei Wochen, ca. 8 bis 10 cm unter Wasser. Die Röste, ein chemischer Prozeß, bei dem durch langsame Gärung die die Faser umhüllenden gummiartigen Stoffe gelöst und vom Wasser fortgetragen wurden, war beendet, wenn sich die Faser, ohne zu zerreißen, leicht vom holzigen Stengel abziehen ließ. Zur Nachröste und der damit verbundenen leichten Bleiche bereitete man den Flachs auf der unmittelbar an die Dämme angrenzenden Bleichwiese aus, wo er bei trockenen Tagen wiederholt mit Fuldawasser übergössen wurde. Auf der Bleichwiese bleichten die Leineweber ihr Leinen, auch die Hausfrauen legten dort ihre Wäsche zur Bleiche aus. Dabei gab es oft unliebsame Überraschungen, wenn die Gänse, die in ganzen Schwärmen tagsüber die Fulda bevölkerten, ihre grünen „Spuren" auf der weißen Wäsche hinterlassen hatten.

Zurück