Archiv Melsungen

Die Zeit von 1933 bis 1939 Teil 2

Laufend wurden neue "NS"-Vereinigungen und Verbände gegründet, bestehende Vereine, Clubs usw. „schaltete man gleich". Neu ins Leben gerufen wurden die NS-Volks Wohlfahrt (die NSV), das Winterhilfswerk (das WHW) und viele andere. Die Partei dominierte überall, brachte „verdiente, alte Parteigenossen" in alle öffentlichen Gremien, Ämter und auch in die Vereine. Neue nationale und andere Gedenktage wurden eingeführt: Der 30. Januar als „Tag der Machtübernahme", der 21. März = „Tag von Potsdam", der 1. Mai wurde zum „Tag der Nationalen Arbeit", der 24. Juni zum Tag der Jugend, der 1. Oktober zum Tag der Landwirtschaft; nicht zu vergessen aber den 20. April, der als „Führers Geburtstag" mit Paraden, Aufmärschen, Vorbeimärschen und großen Reden gefeiert wurde (vor 1918 hatte man so Kaisers Geburtstag begangen). Am 5. März 1933 fand eine Reichstagswahl statt; die NSDAP und die anderen „Rechtsparteien" erhielten insgesamt 51 % der Stimmen, bei der zweiten Wahl am 12. November aber 95 %. Am 14. Oktober trat Deutschland aus dem Völkerbund aus. Am 2. August 1934 starb der Reichspräsident, Generalfeldmarschall von Hindenburg. Er wurde mit nationalem Gepränge im Reichsehrenmal Tannenberg (Ostpreußen) beigesetzt. Überall waren Trauerfeiern angeordnet worden. Alle Beamten mußten 14 Tage lang einen Trauerflor tragen, für die gleiche Zeit wurde ein tägliches Trauergeläut von 8 bis 9 Uhr abends befohlen.
Das Jahr 1933 brachte für die Anlieger der Bergstraße, damals noch „Kakau" genannt, eine erfreuliche Verbesserung. Die nach einem Regenguß nur mit Gummistiefeln begehbare „Straße" -die Häuser waren ab 1920 gebaut worden- wurde mit Feldsteinen „befestigt". Kakau nannte man sie, weil der Untergrund aus rotem Ton bestand, der, wenn er vom Regen aufgeweicht, gleich Kakao ins Dorf floß. Über 10 Jahre lang hatten die Bewohner selbst versucht, mit Steinen einen schmalen Gehweg zu schaffen; vergeblich, denn auch Fuhrwerke wichen auf diesen Pfad aus und an der Einmündung des jetzigen Sommerweges halfen auch die Handwägelchen voll Steine nichts mehr. Wer da nicht Bescheid wußte, stand plötzlich bis über die Knöchel im "roten Knatz". Ein Bauer, der auf seinem Pferdefuhrwerk dort vorbei fuhr, hatte einem Anlieger spöttisch zugerufen: "Sißte, ech krije keene roten Schuh". In der heutigen Zeit, wo sogar manche Feldwege „geteert" sind, ein kaum vorstellbarer Zustand. Die in der Röhrenfurther Feldflur reichlich vorhandenen Feldsteine jeder Größe wurden als Packlager und Schotter verwand; darüber kam noch eine dünne Schicht Basaltsplitt, und die Benutzer der „Kakau", insbesondere die aus den anliegenden Häusern waren glücklich, als der unhaltbare Zustand endlich ein Ende hatte.

In 1934 änderte unser Dorf sein so vertrautes Gesicht nicht unerheblich. Der Breitenbach, den Älteren als „Katzenbach" besser bekannt, verschwand von der Oberfläche. Dieses Bächlein, das zwei mittelalterlichen Weilern seinen Namen gegeben hatte (Alt- und Neu-Breitenbach), aus dem die anliegenden Bewohner Jahrhunderte lang das für Mensch und Tier notwendige Wasser schöpften, das das Mühlrad noch immer antrieb, in dem Enten und Gänse planschten, in dem sich nicht nur Kinder nasse Füße holten, wenn sie über die glatten Steine auf die andere Seite sprangen, in dem die Jungen (und auch mancher Alte) Forellen und sogar Krebse fingen,  wo im  „Schäbbeloche"  (Loch zum Wasserschöpfen)   Futterkartoffeln zum Dämpfen und im Herbst die Kartoffelsäcke gewaschen, aber auch mal ein Schwätzchen gehalten wurde, zwängte man nun in ein Betonbett und deckte es mit einem Betondeckel zu. Röhrenfurth wurde um eine dörfliche Idylle ärmer. Die bei der als Notstandsarbeiten durchgeführten Kanalisierung beschäftigten bisherigen Arbeitslosen dachten daran selbstverständlich nicht, denn für sie bedeutete es Arbeit und Lohn, zumindest für eine gewisse Zeit. Das Bachbett wurde ausgeschachtet (mit Kreuzhacke und Schaufel) und dann mit Wildpflaster ausgelegt, die Ufer links und rechts erhielten eine Stützmauer aus Eisenbeton, worauf dann die Abdeckung, ebenfalls aus Eisenbeton gelegt wurde. Für die unmittelbaren Anlieger bedeutete dies eine wesentliche Verbesserung; sie besaßen nun eine feste Straße, auf der sie, ohne nasse Füße zu bekommen, ihr Haus erreichen konnten. Bisher mußten die Bewohner des oberen Teils der Bachstraße zwischen den Häusern Hch. Nadler und A. Müller über im Bach liegende dicke Steine balancieren, wenn sie auf einem schmalen, steinigen Pfad nach Hause gingen. Fuhrwerke benutzten das Bachbett. Auch die Besucher der Kirche mußten nicht mehr über die Höfe der Bachanlieger gehen.

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